Ich, mein Hund und die finstere Wolke der Vergessenheit und der Angst

Begonnen von Petra_L, 04.05.2010 - 22:03

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Petra_L

Es war ein weiterer verregneter Tag in der Tierauffangstation. An jenem Tag wollte ich mit meiner Mutter und einer Freundin wieder mal bei der üblichen ,,Drecksarbeit" mit helfen. Ein bisschen Käfig putzen hier, ein bissl Dreck weg räumen da als ich auf einen Hund aufmerksam wurde. Er versuchte ständig seinen Kopf zwischen den Gittern durch zu quetschen, war dies endlich geschafft traute er sich aber nicht zurück und blieb mehr als einmal stecken. Ich rief Eva, und zeigte ihr den Hund in seiner misslichen Lage, kaum hatte sie ihn aber befreit tat er sein bestes sein Köpfchen wieder durch zu stecken. Während sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Holzbrett machte um ihm die Möglichkeit zu versperren bekam ich die Info das die Hündin seit 14 Tagen etwa hier war und ca. 6 Mon alt war. Meine Mutter boxte mich in die Rippen und zog mich weiter. Es waren wahrscheinlich viele Hunde die das gleiche taten, aber ich hatte nur mehr Augen für sie.
An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen dass ich eigentlich dachte, mit ziemlich hoher Sicherheit sogar, dass ich gar nicht mehr schwach werden konnte. Schließlich hatte ich meine Katze Sheila zu Hause, meinen Malteser Speedy und den kleinen frechen Dackelmix Spike, der sich übrigens ebenfalls in besagter Auffangstation ohne zu zögern und wenn ich es recht bedenke sehr schnell in mein Herz geschlichen hatte.

Und jetzt stand ich da, es war der 11. März, es war nass und kalt und diese blöde Hündin versuchte immer noch durch die Gitter zu dringen. Zu allem Überfluss fand ich immer schon gefallen an diesen zuckersüssen Retriver Mischlingen. Meine Mutter sah mich an, ich sah sie an, und plötzlich hörte ich mich sagen: Eva, lass sie raus, ich nehm sie mit.
Ich hatte Angst, Angst dass ich mir da etwas auferlegte was nicht zu schaffen war. In meinem Kopf schwirrten tausende Gedanken: Kann ich es mir leisten, hab ich einen Platz für 3 Hunde wenn ein Notfall eintritt, werden sich die 4 verstehen, wie verdammt noch mal geht man mit 3 Hunden Gassi?
Es war also reichlich überlegt und bei der Heimfahrt wurde über nichts anderes gesprochen als über die Handhabung mit 3 Hunden. Meine Mutter hat auch drei, sollt also zu schaffen sein. Ich hab sie Sunny getauft.

Die erste Zeit war nicht immer ein Honig schlecken, das muss ich zugeben. Aber wir gaben nicht auf und siehe da, alle verstanden sich dann doch noch super.

Es war kurz nach ihrem 2. Geburtstag, sie war etwa 6 Monate bei mir, als ich in der Nacht unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde. Die Jungs bellten wie verrückt, ich sprang auf, machte Licht und da lag sie. Meine Sunny, zuckend und sabbernd, die Augen weit aufgerissen ins Leere starrend. Ich stand da und alles was ich dachte war: sie stirbt jetzt! Sie kämpft um ihr Leben aber verliert...  Dann lag sie da, ich kauerte mich neben sie streichelte sie, weinte... doch sie atmete. Ich war überfordernd, hatte keine Ahnung was ich tun sollte oder musste. In diesem Moment wusste ich nur: sie atmet noch
Sunny versuchte aufzustehen, torkelte, rannte gegen die Tür. Ich wollte zu ihr und plötzlich der nächste Schock. Der von mir so geliebte Hund stand da, schaute mich an als wäre ich eine Fremde und dann knurrte sie. Ich weiß nicht was in dem Moment für mich schlimmer war, die Erkenntnis dass mich mein Hund nicht erkannte, oder das Gefühl von Angst was sie wohl zu tun jetzt im Stande wäre.
Also stand ich einfach nur da, redete ruhig auf sie ein. Sie erkannte mich noch einige Minuten nicht und dann stand sie vor mir, hatte wieder einen klaren Blick, einen Blick der sagte: Hey du, ich weiß nicht was passiert ist aber ich bin wieder da.

Ich musste einige Tierärzte ausprobieren bis ich einen fand den ich für meinen Hund als gut genug empfand und ich den Eindruck hatte er weiß was er tut und kann uns helfen. Ich informierte mich nicht nur gründlich, sondern ließ natürlich sämtliche Untersuchen machen und stellte sie gemeinsam mit dem TA auf die richtige Medikation ein.

Leider blieb es nicht bei den leichten Anfällen. Sie wurden stärker. Mittlerweile kämpfen wir seit bald 2 Jahren gegen diese Krankheit an.

Ich kann mich auf das urinieren im Anfall vorbereiten indem ich immer ein Handtuch parat habe.
Aber wer weiß wie schlimm es für jemanden ist wenn der eigene Hund einen 1 Stunde nicht erkennt?

Sie hat alle 10-14 Tage einen Anfall. Manchmal mehr, manchmal weniger. Manchmal stärker und dann wieder leichter. Meine Hündin macht sich an, steht torkelnd auf, und macht mir wieder hin.
Ich kann nicht hingehen, sie kennt mich nicht, sie hat Angst vor mir. Sie legt sich in ihren Dreck und verteilt ihn im schlimmsten Fall in der Wohnung. Ja sie frisst ihn sogar. Und ich? Ja, ich steh daneben, will sie nicht erschrecken also kann ich sie nicht halten. Ich MUSS warten bis sie wieder weg torkelt und ich um 1:30 Nachts die Wohnung putzen kann. Es stinkt, ich kann die Fenster aber nicht öffnen weil sie so laut bellt. Ich kann sie aber nicht beruhigen dass sie aufhört weil sie vor mir Angst hat.

Es ist ein Gefühl der Ohnmacht... da steh ich nun, mitten in der Nacht, eine sich entleerende, bellende, ängstliche Hündin vor mir die ich doch so unendliche liebe– und ich kann ihr nicht helfen. Ich kann nichts für sie tun, außer abzuwarten und sie zu begrüßen wenn sie wieder zu mir zurück kehrt, aus ihrer finsteren Wolke der Vergesslichkeit und der Angst. Und dann kommt sie zurück und ich hab das Gefühl nun beruhigt sie mich... sie lächelt mich an und sagt mir schon beinahe -  hey, mach dir keine Sorgen mehr ich bin wieder da siehst du.

Ich liebe sie, und ich werde MEINE Sunny nicht aufgeben solange sie nach so einer Nacht ein paar Tage ein normales Leben führen kann bevor die nächste Finsternis über sie herein bricht. Manchmal bin ich verzweifelt, manchmal hab ich das Gefühl es nicht mehr zu schaffen und dann schaffen wir es wieder. Ich versuche stark zu sein, aber wenn wir ehrlich sind, gibt nur sie mir die Kraft das alles durch zu stehen.

Wir werden Den Kampf nicht gewinnen, aber aufgeben werden wir erst wenn SIE entscheidend gehen zu wollen. Wenn sie aufhört mich an zu lächeln sondern mir sagt: Hey du, es wird Zeit für mich. Und auch dann werd ich bei ihr sein und sie auch auf diesen Weg begleiten.

Aber noch ist sie bei mir. Noch schaut sie mich in der Früh mit ihren Engelsgleichen Augen an und begrüßt mich mit einem Lächeln in den neuen Tag.
Wenn sie stark sein kann, kann ich es auch – für sie
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Nicht jede Hand die ich hielt hatte es verdient - aber jede Pfote![/COLOR]

LunaSina

Oh mein Gott wie rührend ...
Was hat sie den für eine Krankheit !!
Ich wünsche EUCH viel Kraft und ENERGIE !!!
Und jeder weiß wie schwer es ist zu sehen zu müssen und nicht helfen zu können !!!
Je hilfloser ein Lebewesen ist, desto größer ist sein Anspruch auf menschlichen Schutz vor menschlicher Grausamkeit.
Mahatma Gandhi

Franziska

;( Ohje... ich habe überall Gänsehaut... es tut mir so leid für die Kleine und auch für Dich- diese Hilflosigkeit ist das schrecklichste Gefühl und man würde doch am liebsten selbst jedes Leiden auf sich nehmen...
Aber Deine Worte zeigen, wie sehr Du sie liebst und dass Du nicht aufgibst, finde ich gut, solange es die Lichtblicke gibt von denen ihr zehren könnt.
Ich wünsche Euch, dass es vielleicht doch irgendeinen Weg gibt, mit Medikamenten ihr zu helfen... Und ebenso wünsche ich Euch viel Kraft...!
"Tiere sind meine Freunde, und Freunde esse ich nicht" (George Bernhard Shaw)

Eisprinzessin

hatte viel wasser in den augen als ich deine zeilen gelesen hab. ich kann dir ja so gut nachfühlen, mein shanuk hat auch epilepsie u. auch er erkennt mich hinterher oft nicht. kenne dieses gefühl der hilflosigkeit und angst nur zu gut.  ;(

aber bist du sicher, dass deine sunny wirklich gut eingestellt, wenn sie trotz medis immer noch alle 14 tage einen anfall hat?
Alice

Wenn Menschen denken, dass Tiere nicht fühlen,
müssen Tiere fühlen, dass Menschen nicht denken

Petra_L

Danke Euch!

@ Eisprinzessin: Das denke ich schon, prinzipiell arbeiten alle TA mit Phenobabital und Kalium Bramat (ich entschuldige mich im Vorhinein falls ich es falsch schreibe). Bei schweren Erkrankungen ist es halt nicht einfach. Bekommt sie zu viel wirkt sie apatisch, müde, betrunken. Das ist aber blöd für sie. Gestern waren wir wieder Blutabnehmen und stellen sie ein wenig höher, ich hoffe es hilft.
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Nicht jede Hand die ich hielt hatte es verdient - aber jede Pfote![/COLOR]

Eisprinzessin

ich drück euch auf jeden fall die daumen, dass ihr die passende dosis findet!

ich weiß ja nicht wie lange deine kleine schon die medis bekommt, bei shanuk hat es ca. 2 - 3 wochen gedauert, bis sich die unliebsamen nebenwirkungen (apathisch, dauerwinseln, motorikstörungen usw.) gegeben haben. heute (4 monate später) merkt man ihm nix mehr an.

auf jeden fall wünsch ich euch alles, alles gute!
Alice

Wenn Menschen denken, dass Tiere nicht fühlen,
müssen Tiere fühlen, dass Menschen nicht denken

Rose

Ich wünsche euch viel Kraft für de Zukunft und das es besser zum ertragen wird, mir ist es eiskalt geworden beim lesen.

Teufel9999

Ma die Geschichte ist sooo berührend. Ich finde es toll, dass du sooo kämpfst.

lg
Tatjana
Magie: ist der Moment in dem ein Tier erkennt, dass seine Schmerzen vorbei sind und dir sein unbegrenztes Vertrauen und seine unbegrenzte Liebe zukommen lässt. This is magic!!!!

Kascha

Liebe Petra, ich schicke dir und deiner Sunny ganz viel Kraft und wünsche euch von Herzen, dass die höhere Einstellung hilft. Unser Kater Balu hatte auch Epilepsie und ich weiß wie furchtbar es ist, hilflos daneben stehen zu müssen ;(.
Ich wünsche euch alles erdenklich Gute!
♥ Kascha ♥ dem Auge fern, doch immer in meinem Herzen  ...bis wir uns am anderen Ende des Regenbogens wiedersehen


Egal wie reich, erfolgreich oder gutaussehend du bist, dein Umgang mit Tieren verrät mir alles, was ich über dich wissen muss.